Unterwegs nach Krefeld, zu Karin Trunz, Astrologin. Im Kopf hallt ihre telefonische Wegbeschreibung nach wie eine Beschwörungsformel: „Die Straße wird breit und hell. Sie halten an der fünften Laterne rechts.“ Ein paar Schritte weiter eine Mauer wie um eine Festung, eine Doppelgarage. Auf dem Gehweg zur Haustür rollt sich ein Siamkater träge auf den Rücken.
Karin Trunz ist eine aparte Frau schwer schätzbaren Alters, die Zuversicht ausstrahlt und gesunden Menschen- verstand. Eine Frau, der man jederzeit seine Sorgen anvertrauen würde. Im Souterrain ihres Hauses, das sie jubelnd „Freudenhaus“ nennt, hat sich Karin Trunz ein Sprechzimmer eingerichtet: in der Mitte ein schwerer Schreibtisch. Eine altmodische Standuhr pendelt die Sekunden fort. An der Wand hängt ein Madonnenbild. Tiefgläubig sei sie, sagt Karin Trunz und schlägt die zierliche Hand aufs Herz. Ihre Hingabe zur Astrologie sei Ausdruck einer tiefen Verbundenheit mit der Natur schlechthin. Der Großvater, in dessen Haus sie aufwuchs, lehrte sie, die Pflanzen im Einklang mit dem Mond zu säen und zu ernten und in den Sternen zu lesen.
Das Berechnen der Konstellationen, jener Wege also, die die Gestirne vom Zeitpunkt der Geburt eines Menschen einschlagen, überlässt Karin Trunz ihrem Mann Siegfried, einem unentwegt zufrieden strahlenden Endfünfziger.
Mit Hilfe des Computers produziert er fortlaufende Zahlenreihen auf Endlospapier.
Karin Trunz liest in den Kolonnen wie andere Leute in einem Buch. In einer steilen, altmodischen Handschrift hat sie mit Bleistift Wörter an den Rand geschrieben. „Konkurrent“ steht irgendwo, und ein paar Seiten später: „Verehrer“. In wenigen Sätzen rollt sie die Zukunft auf. Hier eine Reise. Dort ein Rückschlag. Da eine Stunde, deren Gunst sich für ein Finanzgeschäft nutzen ließe. Nie gibt es ein Vertun. Die Sterne sind präzise, selbst wenn es um so etwas Unberechenbares wie die Liebe geht: „Am 21. Juni 2001 wird Ihre Partnerseele in Ihr Leben treten. Ein Mann, den Sie bereits kennen.“
Das klingt alles in allem recht erfreulich. Doch Karin Trunz packt ihre Klienten nicht nur in Watte. Auch schlechte Nachrichten stehen in den Sternen. Indes, was heißt schlecht? Können Unglück, Misserfolge, Trennungen, selbst Krankheit nicht auch eine Chance sein? Eine Kündigung zum Beispiel lässt sich durchaus als Herausforderung deuten, eine Scheidung sowieso. Stellt sich das Schicksal einem Ratsuchenden während der Sitzung als scheinbar ausweglos dar: Ändern kann sie es nicht, aber den Menschen dabei helfen, auf das Kommende gut vorbereitet zu sein. Sie redet, sie rät, sie tröstet, bis die Tränen getrocknet sind „Die Leute kommen mit Sorgen, und sie gehen mit Freude.“
Tabu ist nur der Tod. Doch sehen, sagt Karin Trunz, kann sie den Zeitpunkt schon. Aber was, wenn ein Unglück einen völlig unvermittelt aus dem Leben reißt, ein Autounfall etwa oder eine Flugzeug- katastrophe? An Stelle einer Antwort zieht Karin Trunz einen Stapel Unterlagen aus dem Regal. Wieder diese Ausdrucke auf Endlospapier. An jedem Ausdruck heftet eine Todesanzeige, sie muss sie aus Tageszeitungen ausgeschnitten haben. Das Todesdatum ist immer dasselbe: Der 25. Juli 2000. Es war der Tag, als die Concorde abstürzte. Sie fächert den Stapel auf: hier. Da. Und dort. Fast jedes der Opfer hatte die Todeskonstellation im Geburtshoroskop, und wenn nicht die eigenen Sterne den dunklen Schatten voraus warfen, so jene des mitreisenden Partners.
Text: ANKE SPARMANN
Foto: PRIVAT