WAZ 1991

Schauplatz: Wahrsagen  –  Reise über den Ozean
Die Astrologin versteht sich als Wegweiserin

„Es scheint, als entspräche das Horoskop einem bestimmten Augenblick dem Gespräch der Götter…“{C.G. Jung)

Manchmal, da hat der Herr Trunz eine Krise.
Dann klopft er, wenn er nach Hause kommt und im Büro seiner Frau brennt immer noch das Licht, einigermaßen energisch mit dem Schlüssel von außen an die Scheibe. Karin Trunz versteht das. So ab und zu fühlt der Mann sich vernachlässigt und sorgt sich überdies um sie.
Recht hat er ja. Hat es nicht schon mal eine Zeit gegeben, wo sie sich zuviel aufgeladen und entsprechend überfordert hatte? Aber die Krise, das wissen sie beide, geht vorüber, wie sie jedes Mal vorübergegangen ist. Was Bestand hat, ist die gemeinsame Liebe zu einer Arbeit.


Karin Trunz ist seit dreißig Jahren Astrologin und ungefähr genauso lange „mit dem Herrn Trunz“, wie sie ihn meistens nennt, zusammen. Er leistet am Computer die rechnerische Vorarbeit für ihre Beratungen. Die gewaltig langen Ausdrucke liegen später vor ihr auf dem Schreibtisch. Über Jahre hinweg ist darauf jeder Tag vermerkt, und Karin hat mit blauem und rotem Kuli Wege angelegt in diesem weitläufigen Zukunfts-Gebäude.

Wenn die Arbeit getan, der letzte Klient gegangen ist, dann hat wieder der Herr Trunz einen Auftritt. Wenn nämlich seine Frau geschafft ist von den unzähligen und vielfältigen Problemen, die man mit ihr bespricht, von den Ungerechtigkeiten, Krankheiten, seelischen Nöten und finanziellen Krisen, wenn sie schon mal das Gefühl hat, es stehe ihr alles bis zum Hals, dann nimmt er sie in den Arm und sagt: „Komm Mädel“, und dann wird manches wieder gut.

Kein Wunder also, dass der Herr Trunz, ohne anwesend zu sein, immer bei uns ist. So wie einige andere, auf die wir im Verlauf dieses sonnigen Winternachmittags zu sprechen kommen.

Karin Trunz liegt sehr daran, voreilige Kritik an der Astrologie zu entkräften. Schließlich seien objektiv messbare naturwissenschaftliche Phänomene die Basis für ihre Arbeit. Nicht als Wahrsagerin versteht sie sich, sondern als jemand, der eine Sprache übersetzt, „die andere Menschen vielleicht nicht so gut verstehen“. Wegweiser, das ist ein Wort, das ihr gefällt: Warum nicht versuchen, in Einklang zu leben mit unabänderlichen Gesetzmäßigkeiten, indem man sie verstehen und akzeptieren lernt?

Schon möglich, dass einer keine Beziehung dazu habe. Aber es verstimmt sie, wenn Politiker oder Manager öffentlich die Astrologie schmähen und heimlich zu ihr kommen. Um von einem solchen Verhalten unberührt zu bleiben, nehme sie ihre Arbeit zu ernst. Schließlich handele es sich dabei, und sie sagt es ganz ohne Pathos, um ihre Berufung. „Mit Liebe und Hingabe etwas tun“, bedeute das, und eben auch: größtmögliche Kenntnisse erwerben. So stützen sich ihre Horoskope zum Beispiel nicht, wie die der meisten Kolleginnen und Kollegen, auf die Geburtsstunde allein. Denn: Wie viele Einflüsse und Eindrücke hat der Mensch nicht schon in sich aufgenommen, wenn er geboren wird!

Und dann stoßen wir unversehens vom Allgemeinen ins Besondere vor, sind plötzlich schon mittendrin in der Zukunftswerkstatt, und es gibt kein Zurück. Ehe ich noch Zeit finde, zu erschrecken, erlebe ich staunend, was es bedeutet, wenn eine in dir zu lesen versteht. Es ist eine abenteuerliche Reise, die wir gemeinsam antreten, während wir uns am Schreibtisch gegenübersitzen. Quer über den Ozean der Möglichkeiten. Karin Trunz setzt die Segel: Wir haben günstige Winde, kommen voran, Flauten gibt es nicht, rauer Seegang fordert die Geschicklichkeit heraus. Der weite Blick übers Meer. Ein Hafen ist noch fern, wir gehen erst einmal irgendwo vor übergehend vor Anker.

Kein Wunder, nach so einem Trip, dass der Kaffee inzwischen abgekühlt ist. Karin Trunz, ganz offensichtlich vertraut mit hohem Seegang und Schicksalsstrapazen aller Art, hat sich erst gar keinen eingeschenkt. Ganz vergessen, sagt sie. Wo hätte sie ihn auch abstellen sollen? Auf ihrer Schreibtischhälfte liegen die Computerfahnen und der Tierkreis, im DlN-A-4-Format.
Und dann braucht die Frau Platz für sich selbst. Zwar ist sie eher zierlich, und das Silberarmband am schmalen Handgelenk hat reichlich Spiel, aber ihre Energie, ihr kraftvolles Sich-Einlassen auf die Materie, verlangt nach bestimmten Körperhaltungen. Sie bleibt in Spannung, die ganze Reise, und die dauert mehrere Stunden. Gestützt auf beide Unterarme, den Blick in ihr Gegenüber versenkt oder in die Papiere, ist sie erläßliche Begleiterin, die sich nicht hinreißen, wohl aber begeistern lässt von dem, was sie da tut. Kein Angestrengt sein ihrerseits teilt sich die ganze Zeit über mit, dafür ein Hauch von Frische und Jugendlichkeit: Erst eine einzige Falte von der etwas steileren Sorte hat im Gesicht von Karin Trunz derzeit eine Chance. „Sie sind viel jünger, als ich Sie mir vorgestellt habe-. . .“, sagen denn auch viele Besucher. Gemeint ist wohl auch: Du siehst so normal aus. So gar nicht nach Hokuspokus. Allenfalls die Anwesenheit Willis des Siamkaters mit den undurchdringlich blauen Augen, knüpft an die Symbolik des Übersinnlichen an. Ansonsten sieht sich Karin Trunz fest auf dem Fundament der christlichen Tradition. Letztlich, sagt sie, münde doch alles, was wir tun und sagen, in die eine Erkenntnis: „Herr, dein Wille geschehe…“ Aus ihrem Mund klingt das nicht weihevoll. So hört sich das Leitwort einer Pragmatikerin an: handfest nüchtern, unabweisbar.

Natürlich will sie, und zwar mit Entschiedenheit, dass einer zurechtkommt mit sich, damit er den Weg, den für ihn richtigen, auch findet. Denn die Chancen und die Talente, die uns in die Wiege gelegt wurden, sind ja auch eine verdammte Verpflichtung. –
Nein, so würde es Karin Trunz nicht sagen. „Wir sind da, um uns gegenseitig zu helfen“, heißt ihre Version. Nur wenn es mit ihr durchgeht, wenn sie das Gefühl hat, da begreift einer nicht worum es geht, dann hat sie Drastisches parat: In den Hintern treten möchte man manchem sagt sie, und ja, selbstverständlich, sie ist auch enttäuscht wenn sie gewarnt hat oder intensiv auf etwas hingewiesen und ihr Rat wurde verschmäht. Was das Geld anbelangt, ach, da will sie gar nicht, dass man schreibt, wie viel sie nimmt. Vergleichsweise wenig jedenfalls.

Überreicher Lohn ist ihr wenn da eine Mutter kommt, die sich Sorgen macht um den Sohn, und Karin Trunz, mit Blick auf die Konstellationen, kann sagen: „Mutter, lass den. Der macht das. Guck mal hier und hier und hier…“

Ihr ältester Klient – zu 90 Prozent sind es übrigens Männer, die sich beraten lassen – ist jetzt 87. Ein Rechtsanwalt. Er kommt regelmäßig, und es ist in Ordnung so. Wenn sie allerdings merkt, jemand wird abhängig von ihr, ruft wegen jeder Kleinigkeit an, kann womöglich keine eigenen Entscheidungen mehr treffen, dann bricht sie den Kontakt ab.

Zum Abschied zieht sie unversehens die Schreibtisch Schublade auf. Da sind tatsächlich lauter Sternchen drin. Selbstklebende, aus der Schreibwarenabteilung. Karin Trunz streicht die Haare hinters Ohr, lächelt und lässt das kleine Mädchen wieder aufleben, das sie mal war: Das hatte Spaß an Sternen, weil die so schön leuchten.

Monika Buschey